Über die Schwabinger Gisela

1929 wurde sie in Moers am Rhein geboren. Später kehrte sie von einem Einkaufsgang nicht mehr nach Hause zurück, sondern gelangte über Frankfurt, Heidelberg und Garmisch 1949 nach München. Sie hatte in der Zwischenzeit im Kirchenchor gesungen, bei Meister Jansen als Schmiermaxe und im “Garmischer Hof“ als Tellerwäscherin gearbeitet – man weiß, dass dies die Vorbereitungen auf große Karrieren sind: Gespannweltmeister oder Präsident eines großen Landes – und fand nun in dem Künstlerlokal „Mutti Bräu“ in Schwabing Unterschlupf, wo sie die Wirtin, eben Mutti Bräu, willkommen hieß. Dort stand Gisela hinter dem Tresen, sang auch das eine oder andere Liedchen für die dort versammelte Künstlerschar.

1952 suchte sie auf Anraten von Freunden ein eigenes Lokal und fand dieses auch – das „Flimmerzelt“. Sie baute und modelte es mit Hilfe ihrer Schwabinger Freunde und Maler, vor allem mit Mac Zimmermann, um, schrieb „Bei Gisela“ darüber und stand von nun an jeden Abend auf der kleinen Bühne neben der krummen Schwabinger Laterne, um dem immer größer werdenden Kreis von Gästen mit ihrer „verruchten“ tiefen Stimme ihre Lieder und Chansons vorzusingen. Es begann eine beispiellose Karriere.

Neben Klassikern („Warum soll eine Frau kein Verhältnis haben“ oder „Klein Madeleinchen“) sang Gisela viele, zum Teil für sie geschriebene Lieder im Stil des damaligen deutschen Chansons. Das Publikum, das diese Lieder hören wollte, ergab allabendlich eine stimmungsvolle Melange aus Interessierten und Interessanten, aus Studierenden und Musizierenden, aus Schönen und Reichen und denen, die sich für all das hielten.

Es gab eine richtige Band, man redete, trank und tanzte – 20 Paare auf acht Quadratmetern Tanzfläche – man rezitierte, verkaufte selbst gefertigten Schmuck, Bildchen und in Schokolade getauchte Erdbeeren, sang und setzte sich in Szene, so gut es eben ging, man ließ Gisela und sich selbst hoch leben. Als dann aber noch der „Novak“ dazu kam, war der Ruhm nicht mehr aufzuhalten.

Die Melodie und die ersten Strophen des „Novak“ stammen von Hugo Wiener und wurden 1952 für seine Frau Sissi Craner geschrieben. Das Lied war allerdings in …Österreich verboten. Erst im Jahre 1954 brachte Philipps-Hildebrandt das Lied nach München, wo Gisela es in ihrem Nachtlokal „Bei Gisela“ allabendlich sang. Von den Strophen, die Hugo Wiener geschrieben hatte, sang sie allerdings immer nur die erste, die dann weltberühmt wurde:

„Ich habe einen Mann, den viele möchten,
Der immer mich bewahrt vor allem Schlechten.
Ein jeder kennt ihn, „Novak“ ist sein Name,
Ihm danke ich, daß heut‘ ich eine Dame.
Ob angezogen oder als ein Nackter,
Der Novak hat am ganzen Leib Charakter.
Ich hätt’ schon längst ein böses End` genommen,
Aber der Novak läßt mich nicht verkommen.“

Es ist erstaunlich, wer alles gerade diesen Refrainvers kennt – und nur diesen – auch wenn er das Lied nie selbst gehört hat.

Die restlichen Strophen bezogen sich auf bestimmte Personen der Münchner Szene oder auf immer wiederkehrende Ereignisse wie Handwerks- oder Gastronomenmesse, auf Chirurgen- oder andere Kongresse – aber auch auf Einzelereignisse wie den ersten Weltraumflug eines Menschen oder die Erfindung der Pille. Die meisten jedoch dienten der Selbstdarstellung einer „Verruchten“. Manche der Verse wurden auch wohl nur ein einziges Mal gesungen, manche vielleicht gar nicht.

Aus heutiger Sicht sind viele Texte nur noch um ihrer historischen Aussage oder Komik willen interessant, da die meisten Menschen – auch die Schwabinger – die Zusammenhänge nicht mehr kennen.

Es ist nur schwer verständlich, was damals, in den fünfziger bis siebziger Jahren, als besonders verrucht oder obszön angesehen wurde, – ja, sogar bis vor den Kadi führte. Heute würde es nur ein müdes Lächeln hervorrufen.

Allerdings war es nicht der „Novak“, der Gisela vor den Richter brachte, sondern die Rückseite einer Novak-Platte – „Späte Reue“ und „Morgengrauen“ – derentwegen ein Hamburger Jugendpfleger Anzeige erstattet hatte. Der „Novak“ wurde, weil bekannter, zur Überschrift heran- und so in Mitleidenschaft gezogen. Der Richter, auch er Gast bei Gisela, bescheinigte ihr, die später viel zitierte „gebildete Dame mit unzüchtigem Charakter“ zu sein und verdonnerte sie dazu, einige ihrer „jugendgefährdenden“ Platten mit einem kleinen Schloss zu versehen, dessen Schlüssel dem Zugriff von Kindern und Jugendlichen zu entziehen war. Ein Werbegag, den Gisela nie hätte bezahlen können.

(Man sollte auch nicht vergessen: Ein -anonymer – Kleriker des vergangenen Jahrhunderts stellte fest, dass „Obszönität nur in dem Intellekt derer existiert, die sie entdecken und anderen zum Vorwurf machen“. Also ist Obszönität im Allgemeinen eine Eigenschaft des betrachtenden Geistes!)
Wo die einzustampfenden Platten geblieben sind ????????

Nachdem sie mit ihrem Mann 1974 in die bayerische Provinz ausgewandert war, um herauszufinden, wer ihrer vielen Gäste und Freunde ihr folgen und sie besuchen würde – wie viele waren es wohl, was glauben Sie? – blieb sie dort in Dinkelsbühl und später Wallenstein, um ein Restaurant zu betreiben.

Nach zehn Jahren aber wurde das Heimweh größer – sie kam zurück nach München, arbeitete zunächst bei Gerd Käfer im Deutschen Theater und mit Konstantin Wecker im Café Giesing. 1986 aber hatte sie wieder ein eigenes Lokal, eine neue „Schwabinger Gisela“, allerdings in der Herzog-Heinrich-Straße, ein „Wohnzimmer“, in dem die alten und neuen Freunde wieder zusammenkamen, rauchten, tranken, erzählten und musizierten. 1991 musste sie aus gesundheitlichen Gründen das Lokal aufgeben.

Es wurde still um sie. Seitdem lebt sie in München, der Stadt ihres Lebens, wo sie ihre Freunde trifft, und im hinteren Alpbachtal in einer Hütte, um sich herum ein großartiges Panorama aus steilen Wiesen, Bergen, Wäldern, Almen und schönen Holzhäusern, wo einige ihrer Freunde sie besuchen und von ihr mit einem Schnapsl und einer Tiroler Brotzeit bewirtet werden.
Gelegentlich mal ein Interview: Frau Dialer? Wer war denn gleich Frau Dialer? Ach, die Schwabinger Gisela! Herrje, was waren das für schöne Zeiten!

Dann kam der 24. Januar 1999. Die Frau, die so sehr mit dem Münchner Stadtteil Schwabing verbunden war, dass beide Begriffe in einem Atemzug genannt wurden, die „Schwabinger Gisela“, wurde 70. Sie stand wieder im Schwabinger Rampenlicht!

Der Oberbürgermeister der Stadt München, Dr. Christian Ude, feierte sie mit einer stilvollen Einladung in der schönen Seidl-Villa in Schwabing, bei der sich dann Freunde, Gäste, Musiker, Künstler und Verwandte trafen und den alten Liedern aus dem Lautsprecher lauschten, ein wenig nostalgisch zwar, aber immer noch neugierig und sich an das Alte erinnernd, aber nicht daran hängend.
Man erzählt vom heutigen Schwabing – es war natürlich alles ganz furchtbar!

Die Jungen aber haben ihr eigenes, wie immer ganz anderes Schwabing und die Traumtänzer und Luftschlossarchitekten gibt es immer noch. Man hat Ideen und Vorhaben und so war dies auch zugleich die Geburtsstunde der Idee, Giselas Lieder einem interessierten Kreis wieder zugänglich zu machen und diese CD herauszugeben. Sponsoren und Tonstudio wurden gefunden, alte Platten und Bänder tauchten wunderbarerweise wieder auf.
So schließt sich der Kreis, denn, wie Gisela in einem Interview meinte: „Von Schwabing kommt man nicht los!“

Pit Seng


Gisela starb nach langer schwerer Krankheit am 25. Juli 2014 in ihrer Münchner Wohnung. Sie wurde am 09. August 2014 auf dem Münchner Nordfriedhof bestattet.

[Auf diesem Plan ist ihre Grabstätte mit einem roten X gekennzeichnet.]